Kirchbogen
«De Boge»
Es darf vorweggenommen werden: Der Kirchenbogen, im Volksmund unter dem Namen «de Boge» bekannt, hat bis heute und vermutlich «bis in alle Ewigkeit» eine sehr grosse Bedeutung für das Dorfleben von Steinen.
Aber schön der Reihe nach:
Der Kirchenbogen wurde sicher vor 1640, angelehnt an die südliche Kirchhofmauer, als Pultdach gebaut. Das genaue Erstellungsdatum ist unbekannt. Der Bestimmungszweck von damals ist bis in die heutige Zeit erhalten geblieben: Ein öffentlicher Versammlungs- und Bekanntmachungsort. Nach dem Brand des Frauenklosters in der Au (beim heutigen Alters- und Pflegezentrum Au) wurden Bögen von dessen Kreuzgang in den Kirchenbogen im Dorf eingefügt. Im Jahre 1883 gab man dem Bogen die heutige nüchterne Gestalt und entfernte die gotischen Architekturstücke wieder. Anfangs der Dreissigerjahre wurde der Bogen vom leicht abgerundeten Erscheinungsbild begradigt. Später wurden die gusseisernen Pfosten durch Holzpfosten ersetzt. Auf diesen Holzpfosten sind die vom einheimischen Holzbildhauer Josef Schibig geschnitzten 31 Wappen verschiedener SteinerGeschlechter zu sehen. Bei der Restaurierung 1991 wurde das vorhandene Material, das aus verschiedenen Zeiten stammt, soweit möglich beibehalten. Die Brettuntersicht des Daches musste jedoch vollständig ersetzt werden.
Das wohl vom Bautechnischen her stammende Wort «Bogen» ist auch symbolisch betrachtet ein hervorragendes Wort. Mit seinem Standort und seiner Funktion wird ein Bogen geschlagen zwischen den Sakral- und Profanbauten (d.h. zwischen kirchlichen und nichtkirchlichen Bauten), zwischen den auf dem Friedhof ruhenden Vorfahren und dem pulsierenden Leben auf dem Dorfplatz und im Dorf. Der Bogen geschlagen wird auch zwischen Jung und Alt, die sich gemeinsam unter dem Kirchenbogen aufhalten.
Kirchbogen
Bedeutend für das Steiner Dorfleben
Fast jede Vereinsreise, der abendliche Ausgang von Jugendlichen, das Jahrgängertreffen von Klassenkameraden usw. beginnt meist mit «Besammlung unter dem Bogen». Festliche Apéros, Jubiläumsanlässe, Auftritte der Musikgesellschaft und Tambouren am Muttertag – unweigerlich ist der Bogen miteingebunden.
Die Zeiten, als Kinder auf dem Kiesboden des Bogens oder des Dorfplatzes sich mit dem «ChugeliSpiel» (Spiel mit Murmeln) vergnügten, sind natürlich längst vorbei. «Doch ein bisschen der guten alten Zeit zurückholen und den Dorfplatz den Menschen statt den Motoren zu überlassen, das wäre doch schön», sagte sich die «IG Boge» und startete im Jahr 2023 einen halbjährigen Versuch. Statt Parkplätzen soll eine zusätzliche Begegnungsmöglichkeit geschaffen werden. Auf die Chilbi 2023 hin wurde der Versuchsbetrieb wieder abgeräumt. Alle Interessierten konnten ihre Meinung online einreichen. Wir dürfen gespannt sein, wie es in 2-3 Jahren hier aussehen wird.
Noch heute erfüllt der Bogen seinen Zweck als öffentlicher Bekanntmachungsort, er erfüllt die Anforderung «Mitteilungen in ortsüblicher Weise». Amtliche Anzeigen wie die militärischen Aufgebote, Baugesuche in der Gemeinde Steinen, Wahl- und Abstimmungsresultate, die Vereinsneuigkeiten usw. werden im Anschlagkasten unter dem Bogen ausgehängt. Am meisten Interesse dürften aber die blauen Formulare mit den darauf aufgeführten heiratswilligen Pärchen geweckt haben. Von 1912 bis 2000 galt nämlich das sogenannte «Verkündverfahren», d.h. die heiratswilligen Pärchen mussten in ihrer Wohn- und Heimatgemeinde öffentlich ausgeschrieben werden. Es bestand die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen Einsprache gegen die geplante Eheschliessung einzureichen.
Eine sehr grosse Bedeutung weist der Bogen für das Steiner Brauchtumsleben auf: An Dreikönigen (6. Januar) gehört der Dorfplatz am Abend den Greiflern. In weisse Hirthemden gekleidet drehen sie mit lautem Glockenklang und mit Peitschen knallend («Geisle chlepfe») Runde um Runde um den Dorfplatz. Damit sollen die bösen Geister vertrieben werden. An der Fasnacht steigt, während die Maschgraden sich im Restaurant gemütlich zusammensitzend stärken, ab und zu ein Blätz aufs Bogendach und wirft den Kindern auf deren lautes «güüssen» (kreischen) hin Orangen zu. Fast nicht mehr als Bogen zu erkennen ist der Bogen bei einer Verkleidung wie beispielsweise zum Brodway anlässlich des Fasnachtsumzuges von 2014 oder seinerzeit beim Fasnachtsspiel im Jahre 1937.
Einen besonderen Stellenwert nimmt jeweils das «Fasnachts Underemache» (Beendigung der Fasnacht) am Abend des Güdelzyschtig ein. Angeführt vom Talibasch und Välädi, begleitet von bis zu 40 den Narrentanz trommelnden Tambouren, nüsseln hunderte von Maschgraden um den Narrenvater und die Steiner-Räbe auf dem Schneehaufen oder Podestwagen mitten auf dem Dorfplatz, ehe der Talibasch und Välädi die Jasskarte «Schälle Under» – und mit ihm «de ganzi Fasnachtsplunder» - begraben.
Ein Highlight ist natürlich die Steiner Chilbi am ersten Oktoberwochenende des Jahres. Da wird der Bogen jeweils zur «Kafistube» umgebaut und vergrössert. Wohl kein Chilbibesucher, der sich nicht mindestens einen Besuch in der von den Dorfvereinen in einem festgelegten Turnus betriebenen «Kafistube» zu einem Kaffee und zum Ausstauch mit alten und neuen Bekannten getroffen hätte.
Doch auch für ernste Angelegenheiten wird der Dorfplatz benützt. Im Film wird das Foto einer militärischen Vereidigung zum Kriegsbeginn im Jahre 1939 gezeigt. Um einen Logenplatz auf das Geschehen auf dem Dorfplatz zu ergattern, klettern die Kinder und Jugendlichen vom Friedhof her auf das Bogendach und haben von hier natürlich den besten Überblick über das Geschehen auf dem Dorfplatz. Jährlich finden auch mehrere Apéros auf dem Dorfplatz statt, bei trockenem Wetter auf dem Dorfplatz vor dem Bogen, bei nassem Wetter unter dem schützenden Bogen. Das im Film dargestellte Schlussbild entstand anlässlich des Apéros zum 90-Jahr-Jubiläum des Kirchenchors Steinen Mit diesem Bild des früheren Pfarrers Alois Dober und des jetzigen Pfarrers Ruedi Nussbaumer dürfen wir den Segen Gottes über unser schönes Stauffacherdorf erbitten. Die beiden Pfarrherren stehen mitten unter der Bevölkerung auf dem Dorfplatz. Zwischen ihnen und der Pfarrkirche steht der Bogen. Ohne zu übertreiben darf man sagen, dass der mindestens 400 Jahre alte Bogen so etwas wie das Herz des Dorflebens bildet, eine Brücke zwischen kirchlicher und profaner Welt, die seinesgleichen sucht.