Rossbergstrasse 2 | Raindli
Herrgottskanonier
An sonnig prominenter Hanglage oberhalb des Friedhofs steht seit mindestens 290 Jahren das Haus «Raindli», früher «unteres Rainli» genannt. Es weist typische Merkmale von Schwyzer Holzhäusern auf: Blockhauskonstruktion, steinerner Sockel und Klebedächer. Über dem Keller liegen zwei Vollund zwei Dachgeschosse und bieten Platz für drei Wohnungen. Seit vielen Jahren ist es, aus Brandschutzüberlegungen, mit roten Eternitplatten verpackt. Zuvor war es, wie im Dorf üblich, mit Holzschindeln verkleidet. Die Garage entstand um das Jahr 1960, nachdem die Rossbergstrasse geteert wurde. Eventuell wurde dabei der früher dokumentierte Westeingang entfernt. Auf der Rückseite des Hauses wurde ein Waschraum mit Holzlager angebaut.
Oberhalb des Hauses wurden Hühner gehalten und grosszügig Gärten bewirtschaftet. Bis heute werden Obstbäume kultiviert. Die ständige Wasserversorgung ist durch einen eigenen Brunnen mit Quellwasser gewährleistet. Dies ermöglichte auch den Betrieb einer Destillerie im ehemaligen Rossstall östlich im Haus. Der Mieter, Fritz Weber, produzierte Cognac und diverse Liköre, so zum Beispiel einen Schokoladenlikör. Seine Spezialität aber war Eiercognac. Das Rezept wurde später an die ehemalige Destillerie Landtwing verkauft und von dieser noch viele Jahre verwendet. Im Kamin wurde zudem beliebtes Bündnerfleisch getrocknet und verkauft. Damals gab es sogar Abnehmer für das sogenannte «läbigi» Fleisch, welches durch Maden verunreinigt und dadurch erschwinglicher war.
Die erste Erwähnung im früheren Grundbuch, «Das Urbare der Pfarrkirche zu Steinen», stammt aus dem Jahr 1734. Darin steht; dass sich dieses Haus oberhalb des Dorfes befindet, dort wo man gegen die Mühle fährt, an der Kreuzung von Landstrasse und Kreuzgasse, angrenzend an Inderbitzins Hof und die Hofstätte von Schorno und Linggi.
Das Haus kam im Jahre 1935 in den Besitz der Familie Ulrich, später Dahinden-Ulrich. Der Verkäufer, Martin Abegg, wanderte aus wirtschaftlichen Gründen nach Kanada aus. Das Haus gehörte davor den Familien Steiner, Annen und Ott. Mit Johann Lienhard Ulrich (1749) war das Grundstück bereits vor bald 300 Jahren im Besitz einer Familie Ulrich. Anhand der neu ausgestellten Gülte und Schuldbriefen kann vermutet werden, dass um die Jahre 1815 und 1875 am Haus Veränderungen vorgenommen wurden. Details sind leider keine bekannt.
In den Schuldbriefen und Gülten wird das Gebäude inklusive Hofstatt als Sicherheit verbrieft. In diesen geht hervor, dass sogar die Pfarrei Steinen Geld geliehen hat. Da das Haus als Sicherheit für diese Schulden dient, musste es seit mindestens 1875 brandversichert werden. Dass Brandschutz sinnvoll ist, bewies ein Ereignis in den 50er-Jahren. In der Parterrewohnung wohnte der Kirchenvogt Franz Schuler. Seine Schwester half hin und wieder den grossen Kachelofen einzuheizen, welcher die Stube, den Gang und zwei Nebenzimmer erwärmte. Eines Tages gab es einen heftigen Knall und der Kachelofen zerbarst. Das Türchen wurde an die gegenüberliegende Wand geschleudert. Man fand später heraus, dass beim Einfeuern statt eines Säckchens alter Bohnen Schwarzpulver in den Ofen gelangte. Dieses verwendete Franz Schuler als «Herrgottskanonier» an Fronleichnam für die Kanone.
Nach dem Kauf liessen die Ulrichs das Haus umbauen. Sämtliche Rechnungen aus dieser Zeit sind erhalten. So sehen wir heute, dass Paul Marty 1942 für einen Stundenlohn von Fr. 1.15 arbeitete und eine gefeilte Säge als Werkzeug nicht selbstverständlich war.
Auch ein interessantes Detail ist, dass die Elektrizitätswerke Schwyz den Stromverbrauch ankurbeln wollten, indem sie den Einbau von Elektroherd und Backofen belohnten. Offenbar war ein Elektroherd für die Bevölkerung auch in den 1940er-Jahren noch nicht selbstverständlich. Hier hat der Subventionsgutschein die Zeit überdauert. Das Fördergeld von 75 Franken wurde ausbezahlt, als der sogenannte Volksherd «Therma» mit Backofen angeschafft wurde. Im Vergleich zum Stundenlohn von Herrn Marty ist diese Subvention ein stolzer Betrag.
Der prominenteste Bewohner dieses Hauses war wohl der stark sehbehinderte Musiker Walter Wiggli. Die volkstümliche Musik faszinierte ihn früh und gerne besuchte er die «Bierhalle», wo regelmässig verschiedene Musikkapellen aufspielten. Das Gehörte übte er anschliessend am Klavier im Restaurant Adler. Sein grosses Talent wurde durch Herrn Ulrich, damals Wirt im Adler, erkannt und mit Musikunterricht gefördert. Wenn man den Erzählungen glauben darf, spielte er bereits nach wenigen Musikstunden als festes Mitglied der «Ländler-Kapelle Jost Ribary».